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Titel
Die Rechtskatholiken, die Zentrumspartei und die katholische Kirche in Deutschland bis zum Reichskonkordat von 1933. Ein Beitrag zur Geschichte des Scheiterns der Weimarer Republik


Autor(en)
Hübner, Christoph
Reihe
Beiträge zu Theologie, Kirche und Gesellschaft im 20. Jahrhundert 24
Erschienen
Berlin 2014: LIT Verlag
Anzahl Seiten
875 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Andreas Burtscheidt, Bonn

Im Jahr 2014 legte der Erlanger Historiker und Politologe Christoph Hübner seine 875-seitige Dissertation vor, die den Weg der Rechtskatholiken, der Zentrumspartei und der katholischen Kirche in den Weimarer Jahren nachzeichnet. Diese Studie liefert einen beachtenswerten Beitrag zu dem Multikausalgeflecht des Scheiterns der ersten Republik auf deutschem Boden und nimmt den rechtskatholisch-monarchistisch orientieren Flügel innerhalb des deutschen Katholizismus in den Blick. Gerade die größere Zusammenschau vieler personaler Nachlässe aus dem katholisch-adeligen Milieu der zwanziger Jahre ist als sehr verdienstvoll anzusehen, finden sich doch auch in diesem Umfeld einige durchaus einflussreiche mentale Totengräber der Weimarer Demokratie, denen vor allem das vielfältige Koalitionsgefüge aus Zentrum und Sozialdemokratie auf der Reichs- wie auf den Landesebenen ein Dorn im Auge war.

Die von Werner K. Blessing betreute Arbeit, die bereits eine «deutlich gekürzte Version» (Vorwort, 9) des Ursprungstextes darstellt, verrät ein langjähriges intensives Quellenstudium, das aber oftmals einen ebenso langen Textcorpus mit teils längeren Zitatblöcken nach sich zieht. Dabei ist die Studie chronologisch klar gegliedert, wenngleich die einzelnen Kapitel- und Zwischenüberschriften textlich allzu opulent und zu kompliziert gestaltet sind und zu viele Ebenen besitzen. Ein solides, breit aufgefächertes Quellen- und Literaturverzeichnis sowie ein unverzichtbares Personenregister finden sich am Ende der Arbeit.

Nach einer Einleitung und einer knapp 90-seitigen historischen Hinführung, die weit vor der Phase des Kulturkampfes im 19. Jahrhundert beginnt und mit dem Ersten Weltkrieg endet, widmen sich die folgenden sieben Kapitelabschnitte der gestellten Thematik entlang der markanten Entwicklungen und Einschnitte der Jahre 1918 bis 1933. Die längere Einleitung ist dem Umstand geschuldet, dass die Arbeit in der ursprünglichen Version den Bogen von 1870 bis 1933/34, also von der Reichsgründung bis zum Reichskonkordat, zu spannen versuchte, was als Prämisse in den Blick zu nehmen, durchaus sinnvoll ist. Das Jahr der preußisch-protestantisch gefärbten Reichsgründung war ebenso das Jahr der Gründung der Deutschen Zentrumspartei – und mit dem Versuch, eine parlamentarische Vertretung des sich in der Minderheit und in Daueropposition zum staatlichen Establishment befindlichen katholischen Bevölkerungsteils langfristig zu etablieren, entwickelten die rechtskatholischen Strömungen ein ebenso dauerhaftes Eigenleben.

So wie die Zentrumspartei von Beginn an einen demokratischen Kurs einschlug und sich dabei auf die breite Unterstützung vor allem des niederen Klerus («Kaplanokratie») berufen konnte, so sehr sahen die konservativen, adeligmonarchistischen Kreise im deutschen Katholizismus ein Problem in dieser Ausrichtung der Partei. Doch erst als ein aus adeliger Sicht in seiner Führungsstruktur deutlich nach links verschobenes Zentrum nach dem Untergang der Hohenzollernmonarchie in die Weimarer Demokratie eintrat, entwickelte sich dieses Spannungsverhältnis zu einem virulenten Antagonismus. Im Unterschied zur Entwicklung im Kaiserreich gab es nach 1918/1919 zwei gravierende Veränderungen: das Zentrum verfügte jetzt über eine wichtige Scharnierfunktion im demokratisch ausgerichteten Weimarer Parteien- und Koalitionsgefüge und nahm diese bis 1932 auch in unterschiedlichen Konstellationen wahr. Insbesondere die Dauerverbindung des Zentrums mit der SPD – in den verschiedenen Koalitionen auf Reichsebene und fast zwölf Jahre hindurch allein im größten Land Preußen – erregte größten Widerspruch der rechtska-tholischen Gruppierungen. Diese wiederum spielten seit 1918 innerhalb der Zentrumspartei keine entscheidende Rolle mehr, entwickelten sich aber außerhalb der Partei mit ihren zentrumsfeindlichen Tendenzen zu einem nicht zu unterschätzenden Gefahrenpotential.

Zu den markantesten Figuren der rechtskatholischen Weimarer Szenerie zählten Martin Spahn und Franz von Papen. Letzterer war nicht minder gut vernetzt im Vatikan und hatte dort seit 1923 die katholischen Adeligen vorbehaltene Ehrenstellung eines Päpstlichen Geheimkämmerers inne. Es mag daher nicht verwundern, wenn in Rom zentrumsfeindliche Beschwerden gegen die Dauerbündnisse der Partei mit den Sozialdemokraten das Ohr des früheren Nuntius in Deutschland und seit 1930 amtierenden Kardinalstaatssekretärs Eugenio Pacelli fanden. (Pacelli wiederum wurde seit seinem Wechsel an den Tiber über die Zentrumspolitik in Deutschland nahezu täglich informiert, u.a. durch den gemeinsamen Korrespondenten der führenden Zentrumsblätter in Rom, Edmund Raitz von Frentz, der ebenfalls Geheimkämmerer war, aber im Unterschied zu Papen die prorepublikanische Linie des Zentrums im Vatikan stützte.)

Es ist verdienstvoll von Hübner, die längerfristigen Entwicklungslinien im deutschen rechtskatholischen Umfeld einmal in einem größeren Zusammenhang zu analysieren. Schaut man nur auf die in der Forschung jahrzehntelang betriebene Fokussierung auf die Ereignisabläufe der Monate vom Sommer 1932 bis zum Sommer 1933, darf es nicht verwundern, wenn die längerfristige Perspektive Handlungsweisen und Verknüpfungen in dem bis heute deutlich untererforschten rechtskatholischen Raum freilegt, die die immer wieder bemühte (und mittlerweile als nicht belegbar eingestufte) Junktimtheorie zwischen der Zustimmung des Zentrums zum Ermächtigungsgesetz im Frühjahr 1933 im Tausch gegen den zügigen Abschluss des Reichskonkordats im Sommer 1933 als einen immer wieder viel zu knapp bemessenen Ereignisablauf erscheinen lässt.

Das in diesem Zusammenhang berührte Interaktionsgeflecht aus Heiligem Stuhl, römischem und deutschem Katholizismus und den unterschiedlich ausgeprägten faschistischen Systemen in Italien und ab 1933 in Deutschland verspricht auch in den kommenden Jahren noch etliche Mosaiksteine (= Quellenfunde) zu liefern. Schon länger beklagt die Forschung ohnehin, dass sich die Rezeption des italienischen Faschismus bislang weniger mit der Wirkung beschäftigt hat, die das italienische Vorbild in Kreisen der politischen Rechten, im liberal-demokratischen Lager sowie besonders im Milieu des politischen Katholizismus in Deutschland vor 1933 hatte. Man denke etwa an das ähnliche Schicksal der Schwesterpartei des Zentrums in Italien, des Partito Populare Italiano (PPI) unter der Führung des Geistlichen Luigi Sturzo. Auch das italienisch-vatikanische Verhältnis im Auf und Ab zwischen der Euphorie nach den Lateranverträgen und der schweren Vertrauenskrise im Jahr 1931 unterlag vielfach sehr schwankenden Einschätzungen durch die kurialen Akteure. Diese Perspektivenerweiterung ist unerlässlich, will man sich allein der umstrittenen Reichskonkordatsthematik vernünftigerweise aus der längerfristigen Perspektive widmen, doch müssen bei der von Hübner vorgelegten Stofffülle im Rahmen der gestellten Thematik diese Aspekte aus dem Blickwinkel der römischen Überlieferung verständlicherweise weitgehend zurückgestellt bleiben.

Trotz des nicht geringen Volumens dieses Werkes und der leider nur broschierten Fassung ist dessen breitere Rezeption sehr zu wünschen, denn der mit vielen neuen Funden quellengesättigte Band liefert einen wichtigen Forschungsbeitrag zur Vielschichtigkeit des Scheiterns der Weimarer Republik aus dem allzu oft vernachlässigten Blickwinkel des rechtskatholischen Spektrums heraus.

Zitierweise:
Andreas Burtscheidt: Rezension zu: Christoph Hübner, Die Rechtskatholiken, die Zentrumspartei und die katholische Kirche in Deutschland bis zum Reichskonkordat von 1933. Ein Beitrag zur Geschichte des Scheiterns der Weimarer Republik (= Beiträge zu Theologie, Kirche und Gesellschaft im 20. Jahrhundert 24), Berlin, Lit-Verlag, 2014. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions und Kulturgeschichte, Vol. 109, 2015, S. 418-420.

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